Anna

Anna war elf Jahre alt und ihr Vater war überraschend gestorben. Annas Lehrerin rief die Familientrauerbegleiterin Mechthild Schroeter-Rupieper an und bat um Trauerbegleitung für Anna.

„Anna ist so ein liebenswertes Mädchen und ich möchte nicht, dass sie an dem Schmerz kaputt geht“, sagte sie. Und sie spendete zweckgebunden Geld für die Trauerbegleitung, um Anna direkt diese Start-Hilfe zu ermöglichen.

„Schon paradox, dass das bisher schlimmste Ereignis in meinem Leben mir so viel Gutes bereitet hat, oder?“ Als ich diesen Satz Mechthild zuschickte, fragte sie mich, ob ich über die vergangene Zeit etwas für die Homepage schreiben würde. Das mache ich gerne.

Ich heiße Anna, bin 20 Jahre alt und studiere in Münster Ernährungswissenschaften. Vor neun Jahren starb mein Vater. Es war kaum begreifbar und doch wahr. Damals war ich elf Jahre alt, also praktisch noch ein Kind. Kurze Zeit nach dem Tod meines Vaters kämpfte ich mit starken Bauchschmerzen, wofür es aber keine physiologischen Gründe gab. Auch der Besuch beim Psychologen brachte nicht besonders viel, da ich auf dieser Ebene Patientin war.

Dank meiner Lehrerin lernte ich Mechthild und damit auch Trauerbegleitung kennen. Trauerbegleitung … das war mir damals noch überhaupt gar kein Begriff und ich wusste auch nicht so recht, was mich erwarten würde. Ich erinnere mich daran, dass ich zum ersten Treffen nicht so ganz freiwillig gegangen bin. Unsicherheit und Angst begleiteten mich in diese neue Situation, wobei zu der Zeit nichts war, wie ich es gewohnt war.

„Da weint man doch bestimmt nur rum und ist doch nur total traurig“, dachte ich mir anfangs. Aber so war es dann nicht. Gar nicht. Mit der Zeit habe ich gelernt, dass man Emotionen ruhig zulassen kann und vielleicht auch sollte und das auch gut so ist. Da erinnere ich mich immer gerne an das Beispiel von Mechthild, mit dem Herz, welches auseinanderbricht und zu Tränen wird oder and den Gefühlsstein. Durch die Besuche bei der Trauerbegleitung sind meine Beschwerden verschwunden. Ich merkte wie es mir besser ging.

Also besuchte ich ganz regelmäßig die Trauergruppe und irgendwann habe ich sogar angefangen mich richtig darauf zu freuen. Ich merkte einfach, dass es total gut, tut mit Leuten über meinen Papa und die eigenen Gedanken zu reden und es dabei wahres Verständnis gibt. Man weiß, man wird wirklich verstanden. Und es ist ja nicht nur der Tod vom Papa, sondern alles drumherum, was sich dadurch auch verändert: Die eigene Familie, die Freunde, die eigenen Werte, …

Auch wenn jeder seine individuelle Geschichte hat, ist es etwas, was alle in diesem Kreise verbindet: Jeder hat einen geliebten Menschen verloren. Ich konnte mir also nun meinen eigenen Ballast von der Seele reden, und das in einem geschützten Raum.

Und ja tatsächlich: auch in einer Trauergruppe wird gelacht! Es war immer ein angenehmes Wechseln zwischen Zuhören, Erzählen, Weinen und Lachen. Nach der Gruppenstunde war ich meist etwas müde. Gefühle können ganz schön anstrengend sein, aber gut anstrengend. Es fühlte sich immer etwas an wie, wenn man vom Sport kommt. Sport für die Seele quasi.
In dieser Zeit habe ich ganz viel über mich selbst gelernt. Ich weiß nun, wie ich mit meiner Trauer umgehen kann. Es wird einem in den Gruppen oder von den Trauerbegleitern nicht vorgegeben, wie man am besten trauert, es wird einfach miteinander gelebt, von den TrauerbegleiterInnen auch vorgelebt. Der Austausch gibt Denkanstöße und Inspiration, wie man Gefühle für sich selbst gut zulassen kann und warum das auch gut und wichtig ist. Familientrauerbegleitung ist bei Lavia ein ganz wertvolles Konzept mit wunderbaren Menschen, die großartige Arbeit leisten.

Seit einigen Jahren besuche ich die Trauergruppen nicht mehr. Doch, natürlich ist es noch immer traurig, dass mein Vater so früh sterben musste. Ab und zu betrauere ich das noch immer mal wieder und werde es auch in Zukunft tun. Mal mehr, mal weniger. Aber es belastet mich nicht. Die Trauer rauszulassen, die sich im Laufe des Lebens immer wieder in einem ansammelt, entlastet auch. Ja, ich habe für mich meinen Weg gefunden mit all meinen Gefühlen gut umzugehen. Trauer macht mir keine Angst, ich weiß, dass sie sein darf, wenn ich an meinen Vater denke. Denn Trauer ist nicht nur Schmerz, sie bedeutet auch Dankbarkeit und erst recht Liebe.

Und ich habe durch den Verlust etwas gelernt: Ich denke anders über Dinge nach. Habe eine andere Sichtweise auf das Leben, bin in gewisser Weise stärker geworden. Bin besser vorbereitet auf das was kommen könnte. Wenn ich jetzt auf die Zeit zurückblicke merke ich, wie ich mir mit den Begriffen Familientrauerbegleitung, Lavia, Trauergruppen u.v.m. so viele positive Gedanken kommen. Die Tatsache, dass der Papa tot ist gehört dazu, ist der Grund dafür, dass ich Lavia kenne. Aber wenn ich an die schwerste Zeit in meinem Leben zurückdenke, ist sie durchaus von guten Gefühlen erfüllt. Und mir ist heute bewusst, was ich daraus machen konnte.

Schon paradox, dass das bisher schlimmste Ereignis in meinem Leben mir so viel Gutes bereitet hat, oder?

Herzliche Grüße, Anna

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